IMI-Analyse 2025/11
A 20 – Autobahnbau zur „NATO-Ostflanke“
von: Ursula Trescher und Hermann König, | Veröffentlicht am: 1. April 2025
„Autobahn-Neubauten scheitern schon an der fehlenden Finanzierung“ – so hofften viele Autobahngegnerinnen und -gegner. Womit sie nicht gerechnet hatten, ist die real gewordene Möglichkeit, im Zuge einer dramatischen Militarisierung und unter der Zuhilfenahme von aufgefrischten Feindbildern aus dem kalten Krieg wahnwitzige Schulden in unvorstellbarer Höhe aufzunehmen, um kommende Kriege vorzubereiten.
Noch mit dem abgewählten Bundestag fiel im März 2025 die Schuldenbremse für Militärausgaben und ein gigantisches Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für ,Infrastruktur‘ wurde aufgelegt.
So mancher denkt an unterfinanzierte Krankenhäuser und gruselige Schultoiletten, für die sich die Kreditaufnahme lohnen könnte. Theoretisch wäre das möglich. Weit realistischer ist es aber, dass es sich um zwei verschiedene Posten für die Militarisierung handelt.
Deutschland als Logistikdrehscheibe
Als zentrale militärische Aufgabe Deutschlands innerhalb der NATO, aber auch im Rahmen der EU-Militarisierung, wurde schon seit längerem die reibungslose Logistik im Zentrum Europas gesehen. Deutschland soll die Infrastruktur für schnelle und effiziente Verlegungen von Truppen und Material bereit stellen. Autobahnen spielen dabei eine zentrale Rolle: Der überwiegende Teil der deutschen Autobahnen ist Teil des Militärstraßengrundnetzes (MSGN), weshalb sie bereits in Friedenszeiten in die Planungen für den Kriegsfall mit einbezogen werden. Bei Krisen und im Krieg würde der militärische Verkehr Vorrang gegenüber dem zivilen Verkehr erhalten.
„Deutschland sollte Autobahnen bauen“ – so formulierte es Ben Hodges, bis Ende 2017 Oberbefehlshaber der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine betonte er: „… Im Bereich Logistik und Streitkräfte ist Deutschland der Nukleus des Kontinents und der Nato, ohne die Bundesrepublik bewegt sich buchstäblich gesagt in der Verteidigung Europas wenig. […] Im Falle eines Konflikts etwa im Osten Europas würden die Truppen etlicher Nato-Mitgliedstaaten Deutschland durchqueren, und die brauchen ‚panzerfitte‘ Straßen, aber auch Strom- und Internetversorgung.“[1]
Die Planungen für den Infrastrukturausbau gen Osten konkretisierten sich 2014 mit dem „Readiness Action Plan“ für eine Erhöhung der NATO-Präsenz im Osten des erweiterten Bündnisgebietes. 2016 folgten gemeinsame Absichtserklärungen der NATO und der EU zur vertieften Zusammenarbeit u.a. im Bereich der Militärischen Mobilität.
2017 gab es eine Gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission zur Verbesserung der militärischen Mobilität mit Feststellung der Hindernisse und möglicher Maßnahmen zur Beschleunigung der Mobilität. Dazu zählte unter anderem die europaweite Überprüfung der Straßen, Schienen und Brücken für den Transport großer schwerer Militärfahrzeuge. Für die intensivere Zusammenarbeit der EU-Staaten in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung wurde die PESCO (Permanent Structured Cooperation) gegründet (ohne Malta und anfangs auch ohne Dänemark). Die beteiligten Staaten verpflichteten sich u.a. zur Vereinfachung und Standardisierung grenzüberschreitender Militärtransporte in Europa. Seit 2018 sieht die Konzeption der Bundeswehr vor, dass Deutschland eine zentrale Rolle als strategische Drehscheibe im Zentrum Europas einnimmt.
Manöver zur Truppenverlegung
2017 verschiffte die USA im Rahmen der US-Operation „Atlantic Resolve“ eine komplette Panzerbrigade mit 4000 Soldaten und Soldatinnen nach Europa. Dazu wurden mehr als 2000 Panzer, Haubitzen, Jeeps und LKW aus den USA in Bremerhaven angelandet. Von dort ging der Transport auf Straßen und Schienen durch Norddeutschland, über Hamburg nach Polen und weiter in die baltischen Staaten, nach Bulgarien und Rumänien, zu Manövern vor der russischen Haustür. Die Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt bei Osterholz-Scharmbeck bekam eine tragende Rolle bei der Organisation der Transporte, bei der Verpflegung und Unterbringung der Soldaten und Soldatinnen und zum Abstellen und Umschlagen des Materials.
Eine Heeresfliegerbrigade aus den USA mit dutzenden Hubschraubern und Lastwagen wurde zur Unterstützung der Manöver ebenfalls nach Bremerhaven verschifft. Diese Transporte waren die umfangreichsten Militärtransporte seit dem Ende des Kalten Krieges in Deutschland. Sie dienten, wie auch folgende Manöver, zur Überprüfung der Logistik und zum Ausprobieren verschiedener Routen für einen schnellen Truppen- und Materialtransport zur „Nato-Ostflanke“, d.h. zu den Anliegerstaaten Russlands und Weißrusslands.
Im Jahr 2020 sollte ein noch größerer US-Truppentransport im Rahmen des Manövers „US DEFENDER Europe 2020“ stattfinden, mit 37.000 beteiligten Soldaten und Soldatinnen, davon 20.000 aus den USA. Wegen der Corona-Pandemie wurde das Manöver verspätet und in kleinerer Größenordnung durchgeführt.
Für die Verlegung wurde vor dem Manöver wieder Bremerhaven als Hafen genannt, genutzt wurde auch der Hafen von Emden.
Ab Bremerhaven war als Hauptstrecke für den Straßentransport die Strecke Bremerhaven – Hamburg – Berlin – Stettin vorgesehen. Die Militärgüter wurden dann über verschiedene Strecken und mit verschiedenen Verkehrsmitteln nach Stettin und weiter nach Litauen ins Baltikum transportiert.
A 20 – Häfen, Depots, Kasernen
Stettin ist auch der Endpunkt der sogenannten „Küstenautobahn“ A 20, die 1991, gleich nach der deutschen Einheit, als „Lückenschluß“-Projekt vom Lübecker Raum, an Rostock vorbei, entlang der Küste von Mecklenburg-Vorpommern in West-Ost-Richtung geplant und gebaut wurde.
Im Oktober 2024 wurde in Rostock das „Commander Task Force Baltic“, ein neues taktisches Hauptquartier der deutschen Marine, eingerichtet. Es übernimmt für die NATO die Führungsrolle bei der Überwachung des Ostseeraums bei der Planung und Koordinierung von Einsätzen und Manövern.
In diesem Jahr nimmt die Panzerbrigade 45 in Litauen ihren Dienst auf, die erste deutsche Kampfbrigade, die dauerhaft im Ausland steht. Bis 2027 soll sie auf 5000 Soldaten und Soldatinnen anwachsen. Auch hier beansprucht Deutschland eine „Führungsrolle“.
Für die Landanbindung dieser Einrichtungen liegt die A 20 günstig.
Neuerdings fordern Militärs, die A 20 in Richtung Westen zu verlängern – mit einem gigantischen Elbtunnel 30 km nördlich von Hamburg. Die Deutsche Verkehrszeitung beruft sich in ihrem Artikel „A 20: Deshalb ist ihr Weiterbau erforderlich“ auf Oberst Axel Schneider, Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein: „Am Ende müsse sichergestellt sein, dass durchgängig mehrere hunderttausend Soldatinnen und Soldaten, gleich welcher Nation, vor dem Hintergrund der sogenannten ‚Drehscheibe Deutschland‘ auf unterschiedlichen Wegen versorgt werden und an der Ostflanke des Nato-Bündnisses aufmarschieren können.“[2]
Die projektierte Autobahn würde dann durch ländliches Gebiet bis nahe an Bremerhaven herangeführt. Über das geplante Autobahnkreuz mit der A 27 ist der Flugplatz des Marinefliegergeschwaders 5 in Nordholz gut zu erreichen. Dieser Militärflughafen „…werde in den nächsten zehn Jahren zum modernsten Luftlandeplatz in Europa ausgebaut“[3], verkündete Bundesverteidigungsminister Pistorius im Januar 2025.
Auch der Midgard-Hafen in Nordenham, in dem Explosivstoffe wie Munition entladen werden, liegt nicht weit von der geplanten A 20 entfernt.
Das Autobahnkreuz mit der A 29 führt nach Wilhelmshaven zum dortigen Fregattenhafen.
Und, fast schon zynisch, am Ende der geplanten A 20 in Westerstede wartet ein großes Bundeswehrkrankenhaus, das spezialisiert auf Schussverletzungen und 2008 eröffnet wurde.
Westerstede wurde 2021 wegen der guten Verkehrsanbindung als einer von vier Standorten für Logistikzentren des Technischen Hilfswerkes ausgewählt. Das bietet sich dann für die Zusammenarbeit mit der neuen Heimatschutzdivision an, wenn ein Kriegsszenario wie im „Grünbuch Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ zum Ernst würde. Der komplette Zivilschutz soll im Kriegsfall funktionieren, um die Kriegsführung zu unterstützen.[4]
Bei Westerstede stößt die geplante A 20 auf die A 28, die Richtung Niederlande und Belgien führt. Über die A 31 an der Ems entlang sind die Häfen Rotterdam und Vlissingen in den Niederlanden sowie Antwerpen in Belgien gut zu erreichen. Zusammen mit Bremerhaven zählen sie zu den wichtigen europäischen Militärhäfen der USA. In den Niederlanden und Belgien sind seit den 50er Jahren Depots der US-Army.
Im Norden Deutschlands ist Garlstedt, zwischen Bremen und Bremerhaven, als logistisches Zentrum bei NATO-Truppenverlegungen vorgesehen.
Der Truppenübungsplatz bei Schwanewede, der ursprünglich 2024 geschlossen werden sollte, wird jetzt zur Ausbildung von Fahrzeugführern gebraucht.
An der Route der A 20, in Hesedorf bei Bremervörde, findet sich ein wichtiges Materialdepot der Bundeswehr.
Die Fallschirmjäger-Kaserne in Seedorf ist etwa 30 km von der geplanten Autobahntrasse entfernt.
Die Bundesstraße zu den vorgesehenen Autobahnauffahrten wird aktuell aufwändig im Unterbau erneuert, mit bis zu einjähriger Sperrung der Bundesstraße.
Bei der Planung der A 20 war bis vor kurzem keine Rede von militärischen Erfordernissen, sondern von Hinterlandverkehr und Entlastung der A 1. Man sprach lieber vom „zivilen Nutzen“, Misstrauen war allerdings angebracht, da nur durch das unseriöse Hochschrauben der Prognosen für eine zukünftige Nutzung ein Nutzen-Kosten-Verhältnis über 1 erreicht wurde. Fürs Militär sind solche wenig befahrenen Autobahnen durch ländliches Gebiet, weit ab von Zentren wie Bremen und Hamburg, noch dazu mit teilweise parallel laufenden Bundesstraßen, höchst attraktiv.
Die bisherige Hauptroute von Emden und Bremerhaven nach Litauen verläuft erst nach Süden über die A 2, vorbei an Hannover, Berlin und Warschau und von dort wieder nach Norden. Diese Route stellt ein Hochwertziel, einen sogenannten Flaschenhals dar. Mit dem Weiterbau der A 20 nach Westen und den in Polen in der Planung befindlichen S 6, S 10 und S 16 ab Stettin entstände ein neuer, nördlicherer West-Ost-Korridor. Damit würde also eine schnelle alternative Transportroute gen Osten entstehen.
Eine Autobahn in Richtung „Feind im Osten“ erklärt sich nur bei einer aggressiven Strategie, wenn man sich sicher fühlt, dass die Infrastruktur von der NATO, nicht aber von Russland und dessen Verbündeten genutzt wird.
Sondervermögen Infrastruktur
Es ist zu befürchten, dass finanzielle Mittel aus dem „Sondervermögen Infrastruktur“ für klima- und umweltschädliche Autobahn-Neubauten frei gemacht werden könnten, nicht nur bei der A 20. Eine potenzielle militärische Nutzung und das Argument „Bürokratieabbau“ könnten dazu dienen, Umweltprüfungen und Klagemöglichkeiten einzuschränken. Schon einmal, im Zuge der „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“, wurden Autobahnabschnitte ohne Planfeststellungsverfahren gebaut.
Bei militärischer Infrastruktur sollte man auch an Brückenbau und aufwändige, tiefgründige Bundesstraßen-Erneuerungen denken. Wenn ein Nutzen von Straßenbauten nur schwer erkennbar ist oder der Aufwand unverhältnismäßig wirkt, könnten militärische Zwecke ein wesentlicher Grund sein. Zivile und militärische Infrastruktur lassen sich schwer voneinander abgrenzen. Im „Sondervermögen Infrastruktur“ können sich militärische Projekte verbergen, die sich zivil geben.
Schuldenaufnahme ohne Grenzen für die Aufrüstung zieht naheliegenderweise Kürzungen bei den Sektoren ohne Sondervermögen nach sich: bei Umwelt, Bildung, Gesundheit und Sozialem. Das macht den Alltag garantiert unsicherer, durch fehlende Versorgungsstrukturen, verschärfte Spaltung der Gesellschaft und Mangel an Fähigkeiten zur Lösungsfindung.
Militarisierung der Außenpolitik
Die heutige Situation kommt nicht von ungefähr:
Während sich der Warschauer Pakt 1991 auflöste, belegte die NATO ihren aggressiven Charakter, indem sie sich nicht auflöste. Später vergrößerte sie sich in den Jahren 1999, 2004 und 2009 um 12 Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes und ehemals blockfreier Staaten im Osten. Das geschah unter Bruch des 2+4-Vertrages.[5] Bereits 1992 änderte die Bundeswehr ihre militärische Ausrichtung grundlegend. Eine Beschränkung auf Landesverteidigung wurde ad acta gelegt. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 formulierten die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“[6] als zusätzliches Ziel. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werteten das damals als Bruch mit „...der, wenn auch unfreiwilligen, Tradition der zivilen Außenpolitik und der militärischen Selbstbeschränkung auf Kriegsverhütung…“[7] Im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf (Rest-)Jugoslawien im Jahr 1999 durch den ersten Out-of-area-Krieg der NATO unter Beteiligung der Bundeswehr wurde dieser Bruch in tödliche Praxis umgesetzt.
Es folgte ein Vierteljahrhundert westlicher Kriege und Kriegspropaganda. Heute haben wir es mit einer großen Koalition aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung zu tun. Ihre Kriegspropaganda schätzen sie offenbar so erfolgreich ein, dass sie ihre Absichten nicht mehr hinter Frauenrechten, zu bohrenden Brunnen oder anderem verstecken wollen. Kriegstüchtigkeit wird offen als Ziel propagiert. Die militärische Bedeutung von Autobahnen wird bewusst ins Spiel gebracht.
Anmerkungen
[1] Ben Hodges und Elisabeth Braw, „Neue Verteidigungsausgaben – Deutschland sollte Autobahnen bauen“, Frankfurter Allgemeine, 11.05.2018, https://www.faz.net/-gpg-9a18d
[2] Deutsche Verkehrszeitung DVZ, 16.12.2024
[3] Bremervörder Zeitung 11.1.2025
[4] »Das deckt gefährliche Planungen auf« »Grünbuch zur Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Kriegsfall» veröffentlicht, Ein Gespräch mit André Hahn, junge Welt, 8./9.2.2025
[5] US-Außenminister James Baker machte laut Spiegel am 9.2.1990 im Kreml die Zusage, „das Bündnis werde seinen Einflussbereich ‚nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen‘, falls die Sowjets der NATO-Mitgliedschaft eines geeinten Deutschland zustimmten.“
[6] Verteidigungspolitische Richtlinien vom November 1992, S. 5
[7] Große Anfrage der Abgeordneten Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 13/4287, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode